KI-gestützte Empfehlungssysteme sind mittlerweile ein allgegenwärtiger Teil unseres Lebens. Der nächste Nachrichtenartikel, den wir lesen, den Film, den wir sehen, den Song, den wir hören, das Produkt, das wir kaufen und den Social-Media-Post, den wir sehen, werden uns höchstwahrscheinlich von einem Algorithmus empfohlen. Aufgrund ihrer globalen und schnellen Verbreitung im letzten Jahrzehnt hat sowohl die juristische als auch die philosophische Forschung noch nicht die Auswirkungen erforscht, die Empfehlungssysteme für unser Leben in einer digitalisierten Gesellschaft haben. Die Europäische Kommission definiert in ihrem Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste "Empfehlungssysteme" als voll- oder teilautomatisierte Systeme, die von einer Online Plattform verwendet wird, um den Empfängern des Dienstes in ihrer Online-Oberfläche bestimmte Informationen vorzuschlagen. Empfehlungssysteme bestimmen die Relevanz für die Nutzer, wobei sie oft persönliche Daten und Profile, um die relative Relevanz der empfohlenen Inhalte zu bestimmen. Die sich ständig verändernde technologische Landschaft erfordert eine detaillierte philosophische und ethische Analyse, um sowohl die bestehende Gesetzgebung zu bewerten als auch zukünftige Regulierungsmaßnahmen zu gestalten.
Der Einsatz von Recommender-Systemen wirft verschiedene philosophische Fragen auf. Wie kann Relevanz definiert werden? Wem kommen die Empfehlungen zugute? Noch grundsätzlicher: Wie sollten wir das Konzept einer Empfehlung verstehen? Dieses Verständnis wird in einem ethischen Rahmenwerk für Empfehlungssysteme einfließen, das die weit verbreiteten Schäden, die mit ihnen verbunden sind, abmildert. Zu diesen Schäden gehören: Kinder werden unangemessenen Inhalten ausgesetzt, persönliche Informationen, die von anderen abgeleitet werden, die sehen, welche Artikel einem bestimmten Benutzer empfohlen werden und das Empfehlen von Artikeln auf eine Art und Weise, die für bestimmte Gruppen von Benutzern unfair ist. Die Entwicklung eines systematischen ethischen Rahmens für Empfehlungssysteme wird denjenigen, die sie entwickeln, helfen um diese Schäden zu reduzieren.
Die Einhaltung der ethischen Richtlinien im Rahmen der Entwicklung kann Teil von rechtlichen Instrumenten, wie z.B. einer Zertifizierung, sein. Andere mögliche rechtliche Ansätze sind sektorspezifische Regulierung von Empfehlungssystemen, z. B. für Nachrichten oder Online-Marktplätze. Branchenspezifische (nationale) Wege zur Regulierung von Empfehlungssystemen sind zu analysieren im Vergleich zu dem vorgeschlagenen EU-Gesetz für digitale Dienste, das in seiner jetzigen Fassung kaum an der Oberfläche des mit Empfehlungssystemen verbundenen Regulierungsbedarfs ankratzt. Er beschränkt die Regulierung von Empfehlungssystemen auf große Online-Plattformen, die dann für Transparenz und Auswahl an Optionen für Nutzer*innen sorgen.
Wir laden Vorschläge von allen Wissenschaftler*innen ein, die sich mit den philosophischen, ethischen und rechtlichen Aspekten von Empfehlungssystemen und ihren Umgebungen sowie von Wissenschaftler*innen, die in benachbarten, verwandten Gebieten. Die Konferenz zielt auf interdisziplinäre, transdisziplinäre und
länderübergreifenden Diskussionen ab. Die Beiträge werden im Tagungsband veröffentlicht.
Mögliche Themen sind:
1. Konzeptuelle Analyse von 'Empfehlung' und wie 'Relevanz' unterschiedlich interpretiert wird über Empfehlungssysteme hinweg
2. Wie verschiedene Stakeholder von bestimmten Empfehlungssystemen (unterschiedlich) betroffen sind
3. Wie das Design von Empfehlungssystemen bestimmte Werte fördert und andere einschränkt
4. Relevanz für bestimmte Bereiche, wie z. B. Fake News oder Marktplätze
5. Regulierbarkeit von Empfehlungssystemen und ihre Grenzen
6. Medienrecht(e) und Empfehlungssysteme, einschließlich rechtsvergleichender Analyse
7. Datenschutz und Empfehlungssysteme, einschließlich einer rechtsvergleichenden Analyse
8. Plattformregulierung und Empfehlungssysteme, inkl. rechtsvergleichender Analyse
9. Zertifizierung für Empfehlungssysteme
Abstract-Einreichungen sind am 15. Juli 2021 fällig. Sie sollten die folgenden Elemente enthalten:
a. Titel
b. Abstract (800 - 1.000 Wörter), vorzugsweise im Microsoft Word Textformat (.docx)
c. Name des Autors, Zugehörigkeit und kurze bibliografische Anmerkung (im Hauptteil der E-Mail)
Alle Einreichungen sind an Sergio Genovesi (genovesi@uni-bonn.de) zu senden.
Organisatoren:
Dr. des. phil. Sergio Genovesi (Philosophie, Center for Science and Thought (CST), Universität Bonn), genovesi@uni-bonn.de
Dr. jur. Katharina Kaesling, LL.M. (Rechtswissenschaft, Forschungskoordinatorin, Käte Hamburger Zentrum 'Recht als Kultur', Universität Bonn), kaesling@uni-bonn.de
Dr. phil. Scott Robbins (Philosophie/Informatik, Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), Universität Bonn), srobbins@uni-bonn.de
Die Konferenz ist Teil des TRA 4-Projekts "Recommender Systems. Legal and Ethical Isseues". Die Forscher*innen der Transdisciplinary Research Area (TRA) 4 - Individuals, Institutions and Societies an der Universität Bonn untersuchen die komplexen Beziehungen zwischen Individuen, Institutionen und Gesellschaften. Von dort aus entwickeln sie eine neue Perspektive auf Mikrophänomene (z.B. Persönlichkeitsentwicklung, Kompetenzen, Individualisierung) als auch auf Makrophänomene (z.B.Weltgesellschaft, Globalisierung). Ziel ist es zum Beispiel, Schlüsselfaktoren zu identifizieren, die Einfluss haben auf den sozialen Zusammenhalt, Chancengleichheit, Effizienz, Ressourcenschonung und die Entwicklung individueller Fähigkeiten im Kontext all dieser Faktoren.