Webfare: Digital Equity
Wir als Verbraucher, als homo consumens qua homo valens, sind zu einer Quelle für eine neue Art von Kapital geworden. Bis vor kurzem konnte die große Mehrheit der menschlichen Handlungen noch nicht in kapitalisierbare Daten umgesetzt werden. Dieses neu entdeckte Kapital stellt in einem radikalen Sinne ein neuartiges Weltvermögen dar. Ontologisch betrachtet, hat es nichts mit Gemeingütern zu tun, die Teil der Natur sind. Hier geht es um Kultur und Gesellschaft. Erkenntnistheoretisch betrachtet, ist es eine Schatzkiste, gefüllt mit endlich zuverlässigem Wissen über die Menschheit. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich um unendlich erneuerbares Kapital, da man die Daten beliebig oft nutzen kann. Aus politischer Sicht schließlich ist es radikal demokratisch, da es gleichermaßen von den reichsten, gebildetsten, ärmsten und ungebildetsten Menschen produziert wird, vorausgesetzt, sie haben einen Internetzugang. Dieses Kapital macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, denn auch diejenigen, die überhaupt kein Geld haben (vorausgesetzt, sie sind ans Netz angeschlossen), erzeugen Unmengen von Daten. Dieses neue humanistische Kapital ist kein Zeichen der göttlichen Auserwählung des Individuums, wie im calvinistischen Ursprung des bürgerlichen Kapitalismus; stattdessen ist es nur insofern wertvoll, als es von allen Menschen geteilt wird, unabhängig von Reichtum, Intelligenz, Race oder Glauben. Bisher waren die beiden Optionen zur Regulierung des Umfelds, in dem dieses Kapital produziert wird, entweder die Privatisierung oder die Kollektivierung der Datenwirtschaft.
Im Rahmen seines Vortrags wird Prof. Dr. Maurizio Ferraris, Mercator-Gastprofessor für KI im menschlichen Kontext, eine dritte humanistische Option für einen zukünftigen Datenmarkt diskutieren, die nicht nur Gleichheit, sondern echte Gerechtigkeit ermöglicht: Webfare als Umverteilung von Kapital.
Webfare: Digital Equity
Bild © Desirable AI / YouTube
Zeit: 09. Juni 2023, 16:00-18:00 Uhr
Ort: Center for Science and Thought (Konrad-Zuse-Platz 1-3), 3. OG und via Zoom.
Sprache: Englisch
Desirable Digitalisation: Rethinking AI for Just and Sustainable Futures
Das Projekt "Desirable Digitalisation: Rethinking AI for Just and Sustainable Futures" ist ein gemeinsames Forschungsprogramm der Universitäten Cambridge und Bonn, das von der Stiftung Mercator gefördert wird. Es erforscht, wie KI (künstliche Intelligenz) und andere digitale Technologien durch Konzepte des Humanen beeinflusst werden und wie sie verantwortungsvoll, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig gestaltet werden können.
Maurizio Ferraris ist ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Turin, wo er das LabOnt - Zentrum für Ontologie leitet. Er hat auf dem Gebiet der Ästhetik, der Hermeneutik und der sozialen Ontologie gearbeitet, wobei sein Name mit der Theorie der Dokumentarität und dem zeitgenössischen Neuen Realismus verbunden ist. Maurizio Ferraris ist Autor von mehr als fünfzig Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, z. B. History of Hermeneutics (Humanities Press, 1996); A Taste for the Secret (mit Jacques Derrida - Blackwell, 2001); Documentality or Why it is Necessary to Leave Traces (Fordham UP, 2012); Goodbye Kant! (SUNY UP, 2013); Where Are You? An Ontology of the Cell Phone (Fordham UP, 2014); Manifesto of New Realism (SUNY UP, 2014); Introduction to New Realism (Bloomsbury, 2014); Positive Realism (Zer0 Books, 2015).